Samstag, 29. Januar 2022
„Ausdauer wird früher oder später belohnt – meistens aber später.“ (Wilhelm Busch)
Die Januarsitzung der BV Haspe war kurz, unspektakulär – und ist vielleicht gerade deshalb so geeignet, das Elend des politischen Alltags zu beschreiben. Das will ich in meinem – wie immer subjektiven – Bericht versuchen. Auch deshalb, weil ich immer wieder Mutmaßungen und Unterstellungen bei verschiedenen Themen lese, was Politiker*innen angeblich so tun (oder lassen) und warum sie so handeln, wie sie handeln. Vermeintlich. Eine kurze Chronologie der Missverständnisse.
- Missverständnis: Bürgerbeteiligung in politischen Sitzungen.
Die Tagesordnung einer jeden BV-Sitzung wird schon nach TOP 1 unterbrochen. Denn nach Top 1, „Feststellung der Tagesordnung“, folgt unter TOP 2 die „Einwohnerfragestunde“. In den allermeisten Sitzungen, an denen ich seit meiner Wahl im September 2020 teilgenommen habe, gab es keine Einwohner, die Fragen stellen wollten. Doch die Ankündigung, dass das Wohngebiet „In der Geweke“ in den kommenden Jahren mit neuem Straßenbelag versehen werden soll, treibt einige Anwohner in die BV. Ich vermute, sie gehen frustriert wieder nach Hause.
Warum das? Die Einwohner-Fragestunde heißt Fragestunde, weil der Einwohner (und vermutlich auch sein weibliches Pendant, die Einwohnerin), hier FRAGEN stellen darf. Und zwar höchstens zwei. So legt es die Gemeindeordnung NRW (hier der Link zur aktuellen Fassung) fest. Was der Bürger nicht soll: Vorträge halten. Diskutieren. Mit den BV-Mitgliedern debattieren.
Als kleine „Krücke“ wurde vor ein paar Jahren in Haspe die „Bürgerdiskussionsrunde“ dazwischen geschoben – damit der Bürger wenigstens ein bisschen ins Gespräch kommen kann.
Nun stellen sich also bitte mal alle, die nicht dabei waren, folgende Situation vor: Ein Bürger tritt ans Mikro. Er hat, vermutlich aus der Zeitung, erfahren, dass die Straße, an der er, seine Eltern, und auch schon seine Großeltern seit Jahrzehnten wohnen, juristisch gesehen gar keine „endgültig hergestellte Straße“ ist. Zwar hat die Straße alles, was ein Kind wohl zeichnen würde, wenn es die Aufgabe bekäme, eine Straße zu zeichnen. Da gibt es eine asphaltierte Decke, Laternen, ein Schild, auf dem der Name der Straße steht. Die Straße wird hin und wieder gereinigt und im Winter geräumt. Dafür bezahlt der Bürger – und auch die Bürgerin – eine Grundbesitzabgabe, wenn das Haus, in dem er an der Straße wohnt, ihm gehört.

Eigentlich würde er sich wohl freuen, dass die Straße saniert wird – denn die Straße hat viele Schlaglöcher. Das ist nicht schön, vor allem, wenn man mal mit Schmerzen in einem Krankenwagen liegend die Straße heruntergefahren wird. Doch der Bürger freut sich nicht – denn er soll einen großen Teil der Kosten übernehmen. Und zwar deshalb, weil die Straße „nicht endgültig hergestellt“ ist.
Ich kann die Irritation verstehen. Und auch die Wut. Denn zum einen ist nicht einzusehen, warum eine Straße, für deren Reinigung man zahlt, gar keine Straße ist. Zumindest keine fertige. Und der Bürger stellt sich die berechtigte Frage, ob es wohl irgendwo in den Tiefen kommunaler Aktenordner eine Liste aller anderen nicht-endgültig-hergestellten Straßen gibt. Hausbesitzer und potentielle Käufer*innen von Immobilien würden das sicher sehr gerne wissen. Drittens schließlich sollte es doch in unserem Land eigentlich „gleichwertige Lebensverhältnisse“ geben – und da stört es das Gerechtigkeitsgefühl erheblich, wenn der Hausbesitzer in NRW unbegrenzt damit rechnen muss, zur Kasse gebeten zu werden – während diese Praxis z.B. in Rheinland-Pfalz gerade als verfassungswidrig eingestuft wurde. (dazu ein Text: „Bundesverfassungsgericht: Keine späten Erschließungsbeiträge“.)
Ich weiß nicht, ob Herr F., der Bürger, aufgeregt war. Auf jeden Fall hatte er sich gut vorbereitet und sich vermutlich auch darauf eingestellt, nun mit „seinen“ Politikern ausführlich zu diskutieren. Doch genau das – ist in so einer Sitzung dann eigentlich kaum möglich. Zwar ließ der Bezirksbürgermeister Horst Wisotzki deutlich mehr zu als die beiden Fragen. Aber für ein längeres Gespräch, eine Diskussion, braucht man auch Hintergrundinformationen – und die kann auch ein Bezirksbürgermeister nicht bei jedem Thema so eben aus dem Ärmel schütteln. „Die Antwort geht Ihnen schriftlich zu“ heißt es dann. Das ist kein böser Wille des Bezirksbürgermeisters und liegt nicht daran, dass die BV-Mitglieder schnell nach Hause wollen. Das hinterlässt vermutlich Unzufriedenheit und einen Hals auf „die Politik“. Unglücklich. Doch es gibt auch einen praktischen Rat für Herrn F. und alle seine Nachbarn: Der „Ausschuss für Bürgeranregungen und Bürgerbeteiligung“ ist das Gremium, in dem er sein Anliegen auch diskutieren darf. Einfach an die Stadtkanzlei schreiben – die aktuelle Mailadresse dazu lautet: Daniela-Rohleder@stadt-hagen.de
- Missverständnis: Problem erkannt, Gefahr gebannt?

Die Brache des wenig umweltfreundlichen Betriebes „Gummi Becker“ in der Nordstrasse dümpelt schon seit langem vor sich hin. Wie kann es eigentlich sein, dass es mehr als 20 Jahre nach der Insolvenz des Unternehmens immer noch keine konkreten Überlegungen gibt, was auf dem Gelände in Westerbauer mal entstehen könnte (sieht man mal von der wenig originellen Idee der „üblichen Verdächtigen“ ab, die im Bau von barrierefreien Wohnungen eine lukrative Einnahmequelle für sich entdeckt haben)? Und vor allem: Wieso lassen es Generationen von Verantwortlichen zu, dass es hinter der Graffiti-beschmierten Fassade rostet und tropft und sickert und gammelt? Soll man nun hoffen, dass das Hochwasser im Juli 2021 sich der Sache angenommen hat? Die Ennepe stand bis in die erste Etage des Gebäudes – und hat vermutlich einiges von den Schadstoffen, die da herumlagen, weggespült. Dann ist es zumindest kein Hasper Problem mehr… 🙁
Doch nun gibt es frohe Kunde: Der Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung (AAV) (Hier geht´s zum AAV) hat die Gummi-Becker-Brache in die Sanierungsliste 2022 aufgenommen. Im Februar wird beim Verband über die Reihenfolge entschieden, in der die Liste abgearbeitet wird. Bleibt abzuwarten, was dann passiert – und wer sich diesen „Erfolg“ auf die Fahnen schreibt…

Geduld brauchen übrigens auch alle Anwohner*innen am Baukloh, die seit der Flut nicht mehr über die Ennepebrücke (Vogelsanger Strasse) fahren können. Die Sperrung wird mindestens noch bis Ende 2022 andauern, lässt die Nachbarstadt Gevelsberg wissen. Und die ist zuständig – die BV Haspe ist es leider nicht.
- Missverständnis: In Haspe ziehen alle an einem Strang.
Zu Beginn des Jahres dürfen die Mitglieder der BV Gelder verteilen. Unter anderem, so sieht es die Gemeindeordnung NRW vor, stellen sie Mittel für die Park- und Grünanlagen zur Verfügung – so bekommen die heimischen Gärtner, die die Blumenbeete rund um den Hasper Kreisel bepflanzen, bis zu 1000 Euro (TOP 6.3); der WBH, der sich im Auftrag der Stadt um die „Wechselbepflanzungen“ u.a. vor dem Bahnwärterhäuschen und an der Pforte 1 kümmert, bekommt 3750 Euro (TOP 6.5).

Als „Neu-Grüne“ hatte ich voller Tatendrang schon im vergangenen Jahr angeregt, statt Stiefmütterchen und Begonien hier heimischen und insektenfreundlichen Blumen, frühblühenden Zwiebelgewächsen und gerne auch mehrjährigen Stauden den Vorrang zu geben vor Blumen, die zwar bunt blühen aber biologisch wertlos sind für die stark gefährdete Insektenwelt. Das klappte im Jahr 2021 leider nicht – warum auch immer. Nun wiederholen wir als Allianz diesen Wunsch – und die anwesenden BV-Mitglieder aller Parteien schließen sich nun dem Wunsch nach einem Konzept an. Irgendwie ist es doch naheliegend, dass der, der Geld gibt, auch wissen möchte, wofür es eingesetzt wird… Aktuell entdecken ja viele ihre Liebe zur Natur. Wenn das dabei hilft, dass den vielen Konzepten und in Papier gewickelten Absichtserklärungen endlich Taten folgen, soll mir das Recht sein.
- Missverständnis: Das hatten wir doch schon…

Vor ziemlich genau einem Jahr wurden die „Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Lebenssituation von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in benachteiligten Sozialräumen in Hagen“, der eigentlich „Armutsbericht“ (Hier gehts zum Text. – bitte auf „Anonymer Zugang für Bürger klicken!) heißen müsste, auch in der BV Haspe vorgelegt. Viel zu viele Kinder, im Hasper Zentrum jedes zweite (!!!), wachsen in einem bedrückenden Umfeld auf, weit weg von Chancengleichheit und einer unbeschwerten Kindheit. Ihre Eltern sind arbeitslos, schlecht gebildet, oft alleinerziehend, fast alle mit einer Migrationsgeschichte – und ohne Chance auf echte Teilhabe. Sie haben viel häufiger schlechte Zähne, Übergewicht, Schwierigkeiten in der Schule und kaum Hoffnung auf eine gute Ausbildung – anders als Lena-Marie und Paul-Emil aus Emst. Freizeitangebote, die nichts kosten, wären darum gut – und weil die Hasper BV aus ihren Mitteln immer auch Jugendarbeit im Stadtteil fördert, habe ich im vergangenen Jahr den Vorschlag gemacht, dieses Geld nicht nur Sportvereinen zukommen zu lassen, sondern ALLEN Initiativen, die sich um Kinder kümmern. Denn der Weg in einen Sportverein, mit regelmäßigen Trainingszeiten, mit der Notwendigkeit, Fußballschuhe, ein Trikot, oder auch nur einen Turnbeutel zu kaufen, ist – und das ist bittere Realität – in manchen Familien nicht möglich.
Im vergangenen Jahr verwies mich ein knapp angebundener Genosse: „Das machen wir doch immer schon“, was nicht stimmt, denn verteilt wurde das Geld in den vergangenen zehn Jahren ausnahmslos an Sportvereine. Und auch in diesem Jahr hieß es in der Begründung wieder: „Die Bezirksvertretung fördert seit Jahren den Jugendsport durch die Verlosung von Zuschüssen für sportliche Zwecke…“ Also neuer Anlauf – nun heißt es „…fördert die Jugendarbeit…“ und es spricht sich hoffentlich herum, dass auch niederschwellige Kunstprojekte, Folkloretanzgruppen und andere Angebote für Kinder und Jugendliche sich bewerben können.
- Missverständnis: Es gibt kein Morgen…
Wer sich mit dem Thema Umwelt beschäftigt, der weiß: Wir leben auf Pump. Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als unser Heimatplanet herstellen kann, wir verpesten die Luft, vermüllen den Planeten, und rotten ganze Arten aus. Der Klimawandel, das Verschwinden der Biodiversität, der rücksichtslose Abbau von Rohstoffen – kaum jemand bestreitet wirklich, dass das gerade geschieht. Selbst die meisten Montagsspaziergänger LEUGNEN ja nicht, dass es wärmer wird auf der Erde – sie bestreiten nur, dass sie daran etwas ändern könnten und leben unbeschwert im Hier und Jetzt, statt an nachfolgende Generationen zu denken.
Daran musste ich unter Top 7.1. denken, bei der Präsentation des Haushaltsplanes. Ich erspare Euch die frustrierenden Details, und wer möchte, kann sich die deprimierenden Zahlen hier selber anschauen. 3080 Seiten Mangelverwaltung. Die Kurzfassung: Es wird eng. Sehr eng. (Hier die Rede des Kämmerers).
Zwar haben der Kämmerer und sein Team neben den Pflichtaufgaben auch Mittel für Investitionen im Bereich Digitalisierung und Schulen eingestellt – aber die ganze Rechnung geht überhaupt nur deshalb auf, weil wir die finanziellen Folgen der Pandemie erstmal beiseite schieben. „Der Corona-Schaden wird ‚isoliert’ und ab 2025 über 50 Jahre abgeschrieben…“ – das bedeutet doch nichts Anderes, als dass wir ab 2025 – und das ist schon in drei (!!!) Jahren – den Gürtel noch enger schnallen müssen. Und zwar über 50 Jahre – wir bürden also einen Großteil der Schulden, die wir gerade machen, um unseren Lebensstandard zu halten, den nachfolgenden Generationen auf.
Ich beneide den Kämmerer nicht. Er muss vor Ort das ausbaden, was an anderer Stelle ausgelöst wird – durch europäische Regelungen, durch auf Bundesebene beschlossene Gesetze, durch Kriege, hinter denen Wirtschaftsinteressen stehen, durch Klimawandel, der zu Massenflucht führt, durch einen globalisierten Markt, der Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet. Und er muss ausbaden, was frühere Akteure (die teilweise heute noch die Strippen ziehen) in dieser Stadt zu verantworten haben: Strukturen, Abhängigkeiten, Fehlentscheidungen.
In Rheinland-Pfalz kündigte die Landesregierung im Dezember 2021 an, die Hälfte der Kassenkredite der hochverschuldeten Kommunen zu übernehmen. (Dazu ein Text: „Kommunen in der Pfalz begrüßen Schulden-Erlass-Pläne der Landesregierung“
Wie soll es in Hagen weitergehen, wenn nicht auch wir die Chance auf einen Reset-Knopf bekommen? Doch damit meine ich nicht nur einen finanziellen Neustart. Sondern auch eine neue Kultur des Miteinanders, der gemeinsamen Verantwortung. Politiker*innen aller Parteien, Stadtverwaltung und die komplette Zivilgesellschaft sind doch gemeinsam dafür verantwortlich, dass es in unserer Stadt lebenswert zugeht. Nicht alles, was man sich wünscht, kostet Geld: Respekt, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Verantwortungsgefühl sind umsonst, aber keineswegs vergeblich.
Fazit des Tages:
Ich glaube, es braucht nicht in erster Linie mehr GELD, sondern mehr WILLEN, etwas zu verändern. Dazu müssen Wege kürzer, Entscheidungen schneller und transparenter und das Miteinander vertrauensvoller werden. Bürger*innen müssen stärker beteiligt werden – sich aber auch dann einbringen, wenn es mal nicht um den Quadratmeter rund um die eigene Wohnung geht. In der Evolution ist der Mensch ein „Erfolgsmodell“, weil er gelernt hat, dass man in einer Gruppe mehr erreichen kann als alleine. Der Einzelkämpfer würde zwar den Ruhm alleine ernten – aber leider auch vom Säbelzahntiger gefressen werden. 🙂
Nicole Schneidmüller-Gaiser
Liebe Nikki, ich finde dass ist ein sehr informativer Artikel und lesenswert aber es gibt da ein Problem z. B. gibt es gerade hier in Haspe viel zu viele Menschen die gar kein Smartphone haben oder einen PC, sie also werden deine Zeilen gar nicht lesen, was sehr schade ist. Wie also transportiert man deine Informationen. Die hiesigen Zeitungen werden das so auch nicht bringen, die schreiben ja nur die negativen Dinge gerade in der letzten Zeit wieder. Mach weiter so vielleicht kann man ja mal eine Lösung hierzu finden…
Liebe Eva, danke für die freundliche Rückmeldung. Ja, damit hast Du sicher Recht – leider hab ich gerade keine Lösung für dieses Problem. Das habe ich natürlich auch überlegt, BEVOR ich mit dem Blog angefangen habe; aber so ist immerhin ein Anfang gemacht in Richtung größere Transparenz. Wenn Du eine Idee hast, wie ich noch mehr Menschen erreichen könnte – bin ich dankbar für jeden Tipp!
Hallo Niki, schön, hier auch etwas mehr aus Haspe bzw. der BV zu erfahren. Die Bürgerdiskussionsrunde hat ja laut Allris der Stadt Hagen am 27.1.22 gar nicht stattgefunden, bzw. es wurden keine Einwohnerfragen gestellt.
Auch die „Beantwortung geht schriftlich zu“ sorgt ja nur dafür, dass die Öffentlichkeit nichts davon erfährt, das wird im Protoikoll der BV-Sitzung ja nicht nachgetragen 🙁
LG aus der Geweke.