BV Haspe – Bericht vom 7. April 2022

Samstag, 9. April 2022

„Meine Meinung steht fest. Bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen.“ (Unbekannt)

Irren ist menschlich – diese Erkenntnis schien zuletzt salonfähig zu werden. Sogar in der Politik. Doch was ein Bundespräsident und ein Bundesgesundheitsminister hinbekommen – nämlich Fehler erkennen, benennen und korrigieren – das scheint in Haspe undenkbar. Eine einmal getroffene Entscheidung wird stur verteidigt – auch wenn sich die Vorzeichen geändert haben und neue Erfahrungen vorliegen. Aktuelles Beispiel: Das geplante Gewerbegebiet an der Grundschötteler Straße. Mein Bericht aus der April-Sitzung der BV Haspe.

 

Listen to the Science.

Vermutlich gibt es im politischen Alltag nicht oft Gelegenheiten, ein und denselben Sachverhalt zweimal zu diskutieren – und auf der Grundlage neuer Erkenntnisse neu zu bewerten. Vielleicht gehört das ja auch zum Wesen der Politik: Während manche es mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau nehmen (Aktuelles Beispiel: Mallorca-Affäre), halten andere an einmal getroffenen Entscheidungen unbeirrt fest – auch wenn es wenig klug erscheint (Ablehnung Tempolimit, Ablehnung Maskenpflicht).

In Haspe hatten wir in dieser Woche eine solche Chance zur Korrektur. Es ging um ein geplantes Gewerbegebiet östlich der Grundschötteler Straße (TOP 7.2.). Doch obwohl wir GRÜNEN alle Bedenken der Klima- und Wasserfachleute vorbrachten und an die verheerenden Folgen des Starkregens des vergangenen Jahres erinnerten – stimmte die Mehrheit aus SPD, CDU und Hagen Aktiv geschlossen dafür, den Natur- und Klimaschutz zu ignorieren. Die Mehrheit der BV Haspe (9:2 Stimmen) will ein Gewerbegebiet an der Grundschötteler Straße.

 

Ein Rückblick. Bereits im Oktober 2020 entschied der Rat der Stadt Hagen mehrheitlich, eine zusätzliche Fläche an der Grundschötteler Straße beim RVR als Gewerbe- und Industriegebiet anzumelden, weil damit ein Ansiedlungsvorhaben der Firma ABUS unterstützt werden sollte. Den GRÜNEN im Rat ist es immerhin zu verdanken, dass wenigstens eine Ausgleichsfläche mitbeschlossen wurde. Damals war die Rede von „bis zu 150 Arbeitsplätzen“, die entstehen sollten – sowie von einer Teilverlagerung der Verwaltung, so dass Gewerbesteuer nach Hagen fließen würde. Gründe, die in einer wirtschaftlich klammen Kommune durchaus Gewicht haben.

 

Doch die Versprechen von Verwaltung und Produktion in Hagen sind längst Geschichte – stattdessen präsentiert die Wetteraner Traditionsfirma jetzt Pläne für eine gigantische Lagerhalle, deren schiere Größe – ein 30 Meter hoher Bau in der Größe von zwei Fußballfeldern – die Nachbarn wenig erfreuen dürfte. Dass in einem Hochregallager überwiegend Kollege Computer arbeitet, sahen auch die anderen Bezirksvertreter; doch dass sich deswegen die Ausgangslage für die Pläne geändert hätte, dieser Argumentation wollten sie dann doch nicht folgen.

 

Bildzeile: Zum besseren Verständnis hier eine Auswahl von Collagen, wie die neue Halle sich nach Meinung des Investors „in die Landschaft schmiegt“. Quelle: Lohmeyer GmbH / Vorlage 0286/2022 im Allris.

 

Niemand kann später sagen, man hätte es ja nicht gewusst. Alle Gutachten von Fachleuten und Experten, die zur Bewertung hinzugezogen wurden, betonen die klimaökologische Bedeutung, das schützenswerte Landschaftsbild und vor allem die Bedeutung der Wiese als „Schwamm“ bei Starkregenereignissen. In den Anlagen zum Regionalplan, in der Klimaanalysekarte der Stadt Hagen und auch in der Stellungnahme der Unteren Wasser- und Bodenschutzbehörde steht alles nachzulesen – man möchte Greta zitieren: Listen to the Science!

 

Hier mal die drei wichtigsten Argumente:

Erstens: Die Kaltluftschneise sorgt in Richtung Spielbrink für eine nächtliche Abkühlung eines dicht besiedelten Wohngebietes. (Kleiner Schwank am Rande: In der Diskussion um die Tagesklinik am Quambusch war den Genossen die Kaltluftschneise so wichtig, dass sie als Argument gegen ein zweigeschossiges (!) Gebäude herhalten musste). Wenn diese Wiese erstmal keine Wiese mehr ist, die die Fähigkeit hat, in der Nacht die Temperaturen zu senken und kühle Luft zu schaffen – dann können sich die Menschen am Spielbrink demnächst in warmen Nächten herumwälzen und sich fragen, wer eigentlich diesem Gewerbegebiet zugestimmt hat!

 

Zweitens: In der Bewertung durch den RVR wird das Landschaftsbild als schützenswert bezeichnet – und wenn ich die heute vorliegenden Pläne sehe, waren doch alle Bedenken mehr als gerechtfertigt: Wenn die Fläche erstmal ihren Schutz als landwirtschaftliche Fläche verliert, fallen alle Hemmungen und es wird gebaut, was der Markt gerade braucht. Und wenn der Markt Vorratshaltung braucht, dann werden eben Lagerhallen gebaut…

 

Und wieder einmal lassen wir zu, das uns ein Investor einen Wunschzettel vor die Füße legt, statt selber zu planen.

Ist es das, was man in dieser Stadt unter „Flächenpolitik“ versteht? Ich dachte, wir wollen als PolitikerInnen agieren, wir wollen hier in dieser Stadt gestalten – und nicht nur möglich machen, was einzelnen Unternehmern gut in den Kram passt!

 

Drittens: Wir wissen doch leidvoll (!) seit den verheerenden Regenfällen des vergangenen Jahres, wie wichtig gerade Wiesen sind – sie wirken wie ein Schwamm und halten Wasser zurück. Das Unwetter des vergangenen Jahres hat besonders die Menschen am Fuße der Grundschötteler Straße getroffen. Die Anwohner dort haben ihre Keller noch immer nicht komplett getrocknet – und während wir Lokalpolitiker am Donnerstag im trockenen Rathaus diskutieren, regnet es (welch passende Mahnung der Natur) draußen in Strömen und die Pegel von Volme und Ennepe steigen im Laufe des Abends schon wieder bedenklich an.

Was wird wohl beim nächsten Starkregen passieren, wenn oben auf dem Berg nun so viel zusätzliche Fläche versiegelt wird? Die Entscheidungen 2020 – das muss man vielleicht als Entschuldigung gelten lassen – wurden getroffen, BEVOR wir hier in Hagen alle miteinander erleben mussten, welche Zerstörungskraft Wasser hat. Jetzt wissen wir es aber.

Hinzu kommt: Ein bislang verrohrter Bach unter der Wiese, die die Firma ABUS offenbar bereits erworben hat, muss laut Gesetz vor der Erschließung des Geländes renaturiert und mit fünf Metern beidseitig freigehalten werden. Ja, ganz richtig gelesen: Unter dieser Wiese fließt ein verrohrter Bach! Der Hügel ist nämlich Quellgebiet und speist zunächst den – momentan verrohrten – Schüllinghauser Bach, der unten im Tal in den Bremker Bach fließt. Die Fachleute sprechen hier von einem „Kerbtal“, weil es wie eine Kerbe, wie ein V unten spitz zuläuft und dort bei Starkregen durch die Enge gewaltige Kräfte entstehen können.

 

Je mehr Wasser – desto enger, schneller und kräftiger wird es. Reine Physik.

Kann man da wirklich einfach eine Lagerhalle draufsetzen und hoffen, dass alles schon gut gehen wird?! Die Untere Wasserbehörde kommt zu einem anderen Schluss (Anlage A zur Vorlage 1255/2018 mit dem Titel „Stellungnahme zur ersten Offenlage des Regionalplanes“):

 

„Die Überplanung der Fläche erfordert eine Planung zur Offenlegung des Schüllinghauser Baches mit einem Gewässerrandstreifen von 5 Metern beiderseits der neuen Gewässertrasse, der von jeglicher Bebauung und sonstigen baulichen Maßnahmen (z. B. Weg oder Straßen) freizuhalten ist. Die Oberflächenwasserableitung muss eine Behandlung und eine Rückhaltung vor Einleitung in ein Gewässer vorsehen.

Aufgrund dieser erhöhten Anforderungen an Entwässerung und Gewässerrenaturierung erscheint die Entwicklung dieser Fläche der Unteren Wasserbehörde nicht sinnvoll.“

 

Listen to the Science.

Wohlgemerkt: Das alles sind Argumente, die auch unabhängig vom aktuell geplanten Hochregallager gelten.

Dass in den vorgelegten Plänen nicht einmal der Versuch unternommen wurde, das geplante Hochregallager ökologisch etwas „abzumildern“, etwa durch Fassadenbegrünung oder eine Photovoltaikanlage auf dem Dach – das ist dann nur noch ignorant. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach könnte vermutlich halb Grundschöttel mit Strom versorgen. Und echte Pflanzen an einer Fassade, die insgesamt 16.500 m² groß wäre, hätten durchaus auch positive ökologische Auswirkungen – stattdessen schlägt der Investor vor, die Halle grün anzupinseln, um sie ins Landschaftsbild einzufügen…

 

Manchmal frage ich mich, ob speziell die Arbeit der BV Haspe irgendwie aus der Zeit gefallen ist. Draußen in der Welt herrscht Krieg, in den Supermärkten fehlt schon das Mehl, die Bauern wissen nicht, wie sie demnächst ihre Tiere füttern sollen – und wir vernichten landwirtschaftliche Fläche, um ein neues Hochregallager zu bauen. Steht eigentlich unten bei Zwieback Brandt noch die Bauruine eines ehemaligen Hochregallagers? Kann man nicht endlich sorgsamer mit den Freiflächen umgehen? Ist es naiv, zu erwarten, dass irgendjemand mal die Bauruinen und Industriebrachen dieser Stadt auflisten möge, sodass wir potentiellen Investoren Angebote aus dem Bestand machen können – statt ständig neue Flächen zu versiegeln?

 

Meine Hoffnung: Die Menschen reagieren heute sensibel auf die Zerstörung von Naturraum. Das haben wir am Hohenhof erlebt. Also vielleicht regt sich ja noch Widerstand. Zumindest gegen das Hochregallager, das wir unter TOP 7.3. als „Erste Lesung“ behandelt haben, was so viel heißt wie „Entscheidung vertagt“. Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, dass bis zur nächsten Sitzung Argumente auftauchen, die mich für diesen Klotz stimmen lassen.

Wir müssen endlich anfangen, besser auf unsere Flächen aufzupassen – und eigentlich erwarte ich von zeitgemäßer Flächenpolitik, dass sie Ökonomie UND Ökologie in den Blick nimmt.

 

Der Rest der Tagesordnung aus Hasper Sicht chronologisch:

 

Für die Hasper Kirmes (TOP 6.2) und das Haus Harkorten (TOP 6.3.) werden Mittel aus dem eigenen Haushalt zur Verfügung gestellt. 1500 bzw. 4000 Euro.

 

Im Ennepepark wird nun auch das Außengelände der KiTa „Am Gosekolk“ barrierefrei (TOP 7.1.). Das hat schon der Jugendhilfeausschuss befürwortet und ich finde es auch gut. Allerdings habe ich mich bei der Vorbereitung der Sitzung, als ich mir das Gelände angeschaut habe, gefragt, ob die Hasper Hundebesitzer eigentlich überwiegend ignorant sind? Der Fußweg also zwischen KiTa und Ennepe ist komplett zugesch… Ich ahne schon, was passiert, wenn ich hier einen Kotbeutelspender vorschlage – dann heißt es wieder, die klauen die Leute, um sie für Butterbrote zu benutzen. Wäre ich Mitarbeiterin des Ordnungsamtes, würde ich mich auf eine Bank im Park setzen und gemütlich abkassieren…

 

Unser Sachantrag zur Änderung des Regionalplanes wurde – wie oben beschrieben – mit 9:2 Stimmen abgelehnt. Darum haben wir GRÜNEN die vorgelegte Stellungnahme zum Regionalplan (TOP 7.2.) natürlich auch abgelehnt.  Alle anderen nicht.

 

Auch hier mal noch ein kleines Beispiel aus Absurdistan: Die Stellungnahme zur Änderung des Regionalplanes beschäftigt sich mit all den Auswirkungen, die eine Umwandlung von Flächen hat. Trotzdem reibt sich die geneigte Leserin / der geneigte Leser die Augen, wenn am Ende der Vorlage steht „Keine Auswirkungen auf den Klimaschutz und die Klimafolgenanpassung“. Was hat denn dann Auswirkungen? Wenn in Hagen ein Atomkraftwerk explodiert? Darunter tun wir es nicht? Da muss in den Köpfen der Handelnden noch ganz viel passieren, wenn wir Klimaschutz wirklich als relevantes Thema behandeln wollen…

 

Und schließlich noch TOP 7.4. – der VRR hat uns geschrieben. Schon mehrfach haben sich Generationen von BV-Mitgliedern aller Parteien darüber beklagt, dass der S-Bahnhof Westerbauer nicht nur nicht barrierefrei ist – sondern auch immer mehr verkommt. Nun schreibt uns der VRR. Dass sie unseren Brief bekommen haben. Dass unsere Beobachtungen stimmen. Und…?! „Hierzu wird demnächst ein weiterer Abstimmungstermin mit der DB stattfinden, bei dem auch ein grober Zeitplan erstellt werden soll.“ Aha. Wir dürfen also „demnächst“ einen „groben Zeitplan“ erwarten. Toll. Und: Der VRR hat „die Hagener Stationen weiter im Blick“. Dann ist ja alles gut.

 

Fazit des Tages:

Puh. Wäre ich 20 – ich stände auch schreiend und wütend auf der Straße. Nicht nur freitags. Nun bin ich über 50 und habe meine Emotionen meistens besser unter Kontrolle. Aber schreien möchte ich trotzdem.

 

 Nicole Schneidmüller-Gaiser

 

 

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