Haspe, im September 2023
„Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“ (Loriot)
Ein Ratsmitglied, mit dem ich mich immer mal wieder über politisches Tempo (oder besser: die quälende Langsamkeit politischer Prozesse) unterhalte, sagte ja mal einigermaßen phlegmatisch zu mir: „Am Ende kann ich sagen, dass ich für einen Hundekotbeutelspender in meinem Bezirk gesorgt habe…“ Von den fünf Jahren, für die ich 2020 in die Bezirksvertretung Haspe gewählt wurde, sind jetzt drei Jahre fast herum. Am 3. November 2020 wurde ich vereidigt – im Herbst 2025 wird wieder gewählt. Nun sah ich eine „Halbzeitansprache“ eines politischen Mitbewerbers – und weil ich Euch und Ihnen versprochen habe, möglichst persönlich, ungeschminkt, zugegeben subjektiv und so oft als möglich aus meiner Tätigkeit zu berichten, will ich da heute mal nachlegen. Vielleicht mit einem entscheidenden Unterschied: Ich laufe mich nicht warm. Ich habe ein Leben, das auch ohne politische Ämter und das Sammeln von politischen Ausschuss-Posten funktioniert. Betrachtet diesen Text also nicht als Bewerbungsschreiben 😉
Wenn ich die drei Jahre, in denen ich jetzt parteipolitisch aktiv bin, in einem Satz zusammenfassen sollte, würde der lauten: So schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt. Ich bin heute jenseits der 50, bin mehr als 30 Jahre bürgerschaftlich aktiv, habe Vereine gegründet und in Projekten mitgearbeitet, habe immer mit vielen, auch sehr unterschiedlichen Menschen zusammengearbeitet und um Lösungen gerungen. Das hat mir immer viel Freude gemacht und war fast immer konstruktiv.
Zwei Dinge musste ich im Laufe der letzten Jahre jedoch lernen: Wer sich für Geflüchtete einsetzt, der lebt gefährlich. Und wer dem Platzhirsch ans Bein pinkelt – der muss mit seiner unversöhnlichen Rache leben. Nun will ich einräumen, dass „Nikis Notizen“, mein Blog, nicht auf Kuscheln angelegt war. Denn was ich im Wahlkampf 2020 immer wieder von Hasper Bürgerinnen und Bürgern gehört habe, das waren Sätze wie „dieser Filz hier in Haspe ist unerträglich.“ Darum wollte und will ich meinen Teil zur Meinungsbildung beitragen und über das berichten, was da so passiert im politischen Haspe. Aus meiner Sicht.
Tatsächlich ist es in Haspe ja schwer, an der SPD vorbeizukommen. Ich stamme selber aus einer Familie, in der jahrzehntelang rot gewählt wurde – und ich bin im Glauben erzogen worden, dass diese Partei das Beste für die Arbeiter*innen will. Noch heute bin ich ehrlich ergriffen, wenn ich Sätze wie diesen großartigen, zugegeben schon 161 Jahre alten von Ferdinand Lassalle lese: „Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist…“
- Reflex: Ja.
- Reflex: Jaaaaaa!
- Reflex: Tja.
In Haspe hat es seit Menschengedenken noch nie einen Bezirksbürgermeister (die männliche Form ist bewusst gewählt) gegeben, der nicht SPD-Mitglied war. Weil die SPD in Haspe traditionell die Mehrheit eingefahren hat. Und wer gewinnt, bestimmt den Bezirksbürgermeister. Nun gab es 2020 ein Wahlergebnis, das diesem Automatismus ein Ende hätte setzen können: Denn die selbst ernannte Hasper „Allianz“ aus CDU, Hagen Aktiv und Bündnis 90 / Die Grünen kam zusammen auf sieben Sitze, die SPD nur auf fünf. Für das 13. Mitglied der BV habe ich übrigens keinen Buchstaben übrig.
Ich kam als politischer Rookie in eine BV, in der die Mehrheit der Mandatsträger*innen ziemlich unverhohlen keine Lust mehr hatte auf den bis dahin praktizierten Politikstil – auch sie wollten unbedingt einen neuen Bezirksbürgermeister. Doch mangels eigener Kandidaten – bitter genug – reichte es lediglich zu einer Verabredung, dass die SPD einen ANDEREN Bezirksbürgermeister benennen solle: Horst Wisotzki. Den ich, seitdem ich ihn persönlich kennengelernt habe, menschlich schätze, das möchte ich ausdrücklich betonen.
Gedanken-Einschub: Wie gut, lebensnah, vielfältig kann eine Demokratie eigentlich sein, wenn die Ausübung wichtiger politischer Mandate für eine bestimmte Sorte Mensch deutlich leichter ist als für andere? Sollte es nicht möglich sein, auch als berufstätiger, jüngerer, eventuell weiblicher, vielleicht sogar zugewanderter (Familien-)Mensch mitzuwirken? Von den fünf Hagener Bezirksbürgermeistern sind alle fünf männlich, ohne Migrationsgeschichte und (bis auf einen ?) nicht mehr im Berufsleben.
Vielfalt geht anders.
Vor der Vereidigung gab es dann allerlei gute Vorsätze: Es sollte alles besser werden, mehr Miteinander, mehr Kommunikation, mehr Partizipation. Die drei Hasper Bürgermeister*innen (Wisotzki, Romberg, Schneidmüller-Gaiser), so wurde verabredet, sollten sich regelmäßig zusammensetzen, sich über anstehende Termine austauschen, verabreden, wer wohin gehen soll. Zum Wohle des Stadtteils und im Dienste seiner Bewohner*innen sollte eine neue Zeit anbrechen – Miteinander statt gegeneinander, respektvoll und wertschätzend. Spoiler Alarm: Das hat nicht so recht geklappt.
Zusammengesessen haben wir drei genau einmal (!), neben der alljährlichen Kranzniederlegung zum Volkstrauertag „durfte“ ich als 2. Stellvertretende Bezirksbürgermeisterin genau einen inhaltlichen Termin übernehmen (Bethel vor Ort), wie oft das auf Herrn Romberg zutrifft, weiß ich nicht. Zwei- oder dreimal hätte ich als Gratulantin zu älteren Mitbürger*innen gehen können, leider zu Zeiten, zu denen ich arbeite.
Meistens erfuhr die Allianz aus der Zeitung, welche öffentlichkeitswirksamen Termine der Bezirksbürgermeister sonst so hatte. Da überbrachte er dann Gelder, die die BV bewilligt hat – aber natürlich, das liegt in der Natur der Sache, sehen die Menschen den SPD-Mann mit dem Füllhorn. Genau darum wollen Parteien gerne Posten.
(Noch ein Einschub: Aber immer mal wieder wusste jemand anderes von diesen Terminen: Wisotzkis Vorgänger im Amt. Je nach Bedarf wurde dann mal diese, mal jene Begründung ins Feld geführt, warum auch der sein Gesicht mal wieder in die Kamera halten konnte – um sich zum Beispiel bei den heimischen Sportler*innen in Erinnerung zu rufen.)
Über den Umgang miteinander in den BV-Sitzungen habe ich in meinem Blog immer wieder berichtet – der Eindruck, dass Themen vor allem deshalb „bekämpft“ werden, weil sie von der falschen Person vorgetragen werden, drängte sich schnell auf, weshalb ich hin und wieder mir wichtige Argumente von anderen habe einbringen lassen – woraufhin sie dann durchaus positiv bearbeitet wurden. Während echte „grüne“ Themen, wie sichere Fahrradwege, Artenvielfalt, Müll im Wald oder Altglascontainer auf Bürgersteigen entweder mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt oder einfach ausgesessen werden. Und manchmal wundert man sich als BV-Mitglied, wie gut vorbereitet die anderen argumentieren können, wo doch eigentlich nur ein sehr kleiner Kreis im Vorfeld über eine Anfrage Bescheid weiß. Nun ja.
Als politisch interessierter Mensch kenne ich natürlich Bundestagsdebatten und weiß, dass da oft Beifall heischende Reden geschwungen werden – auch Stör- und Buhrufe und große Rhetorik dienen vor allem der B-Note, weniger der inhaltlichen Auseinandersetzung. Ich hatte allerdings nicht erwartet, unter erwachsenen Menschen in einer Bezirksvertretung erleben zu müssen, dass meine Wortbeiträge durch Zwischenrufe aus der zweiten Reihe bereichert werden. Und dass der „Kampf“ so weit geht, dass man sein „Guten Tag“ verweigert oder beim Tode eines nahen Menschen nicht kondoliert – das hätte ich niemals für möglich gehalten. Eine weitere Beobachtung nach drei Jahren: Die Sitzungen verlaufen deutlich friedlicher, wenn ein bestimmter Medienvertreter nicht im Raum ist, der in seiner Berichterstattung einen eher einseitigen Blickwinkel pflegt, dies aber vehement bestreitet.
Schaue ich nun auf die Themen und Inhalte der vergangenen drei Jahre, so frage ich mich, ob es wohl für die Menschen außerhalb der Politik einen Unterschied macht, dass wir da mit zwei grünen Stimmen mitmischen. Gegen die anderen können wir keine Themen durchbringen; unsere Argumente werden oft ins Lächerliche gezogen oder verdreht. Manche Themen kommen immer wieder auf die Tagesordnung – aber es gelingt uns einfach nicht, etwas zu ändern: Weder werden im Hasper Zentrum Stauden, heimische und insektenfreundliche Blumen gepflanzt, noch werden Baumfällungen oder Rodungsarbeiten so frühzeitig angekündigt, dass man sie verhindern könnte.
Natur wird von anderen Parteien nur dann als Argument eingesetzt, wenn es dem eigenen politischen Ziel dient – so entdeckte mancher, der später einer Fußballplatz großen Hochregallager-Halle an der Grundschötteler Straße zustimmte, die Bedeutung von Frischluftschneisen, als es gegen eine Tagesklinik für Kinder am Quambusch ging. Das waren dann dieselben Personen, die bei einer anderen Abstimmung wiederum ihr Herz für Kinder in Haspe durchaus schlagen hören – weil in der geplanten Kita am Markanaplatz eben auch ein Treffpunkt (für den eigenen Bedarf?) entstehen könnte.
Manche Themen (Behindertengerechter Zugang S-Bahn Westerbauer, Offenlegung Hasper Bach, Zukunft der kontaminierten Flächen ehemaliges Eisenwerk Geweke oder Gummi Becker, Versetzung Altglascontainer Grundschötteler Straße, Sicherer Radverkehr in Haspe) werden wohl noch unbearbeitet sein, „wenn Märchen Menschen sind in Büchern geschrieben von Kaninchen“ (Zitiert aus Peter S. Beagle: Das letzte Einhorn.). Vieles wird von der Mehrheit der BV-Mitglieder so entschieden, weil das immer schon so war. Und manchmal verzweifelt sogar die Verwaltung, weil die Politik Beschlüsse, die sie selber formuliert hat, dann in der Praxis doch gar nicht so gerne umsetzen möchte (z.B. Radwegekonzept im Bezirk Haspe).
Nicht einmal gegen Lkw, die gegen alle Verkehrsregeln immer wieder auf Bürgersteigen oder Straßen parken, lässt sich politisch etwas ausrichten – weder als einzelne Politiker*in, noch im Zusammenschluss mit anderen. Wie sollte man da nicht resignieren.
Nun beobachte ich immer mal wieder, dass es ja scheinbar auch noch andere Gründe gibt, sich um Mandate zu bewerben und das Netzwerk aus Geben und Nehmen zu pflegen. Bauvorhaben, Gewerbegebiete, Vorfahrtsregelungen und sogar Kindertageseinrichtungen haben manchmal eben nicht nur eine öffentliche, sondern auch andere Dimensionen – über die aber nicht offen gesprochen wird, obwohl Ferdinand Lassalle das doch empfohlen hat.
Ja. Der Hasper Klüngel, dieses kaum kontrollierbare nicht-öffentliche Beziehungsgeflecht, steht dem Kölschen kaum nach; die Vermischung von gesellschaftlichen, politischen und unternehmerischen Interessen ist im Hagener Westen über viele Jahre gewachsen und gepflegt worden. Man kennt sich, man hilft sich – vermutlich nicht nur, weil
man sich mag, sondern vielleicht auch, weil man so viel voneinander weiß. Viele Bürger*innen finden das nicht gut – und wenden sich von der Politik ab. Damit hilft man am Ende vor allem den Demokratiefeinden – in der BV Haspe erkenne ich übrigens keine durchgehende „Brandmauer“, dafür aber bei einigen unerwartetes Plaudern und Duzen nach rechts.
Zur Wahrheit gehört auch, dass die Grünen in Hagen einen schweren Stand haben. Und nicht alles kann man „den anderen“ in die Schuhe schieben – da ist auch manches Hausgemachte dabei. Erfolgreiche Systeme löst man nicht ab, wenn man als Individuum unterwegs ist – das ist meine, durchaus selbstkritische Zwischenbilanz nach drei Jahren. Da müsste man ebenfalls im Team unterwegs sein, gemeinsam Strategien entwickeln, politische und mediale. Und man müsste viel mehr im Gespräch mit den Bürger*innen sein – dafür braucht man Zeit und Ressourcen. Beides ist mir nicht gelungen.
Für die politische Arbeit, wie ich sie erlebe, braucht man eine merkwürdige Mischung aus Leidenschaft bei gleichzeitiger Gleichgültigkeit für den Ausgang einer Abstimmung. Man braucht einen langen Atem, Liebe zu verschwurbelten Texten und Anträgen, man braucht ein dickes Fell und spitze Ellenbogen. Man muss die Quadratur des Kreises beherrschen, empathisch zu sein, sich dabei aber nichts zu Herzen zu nehmen. Man braucht einen funktionierenden Fanclub, der alles beklatscht, was man sagt und einen öffentlich lobpreist, selbst wenn man nichts auf die Kette kriegt. Man soll selbstbewusst auftreten, alles wissen, dabei bitte nicht bevormunden und natürlich nicht eitel sein. Man soll bürgernah, aber nicht anbiedernd sein. Man soll viel Zeit für dieses Ehrenamt haben, finanziell aber nicht abhängig davon werden, soll überall dabei sein, aber trotzdem im Berufsleben stehen, damit man weiß, mit welchen Problemen „der Bürger / die Bürgerin“ zu kämpfen hat.
Und natürlich soll man Überzeugungen haben, diese vertreten – und muss doch immer wieder Kompromisse finden und mit den Mehrheiten leben.
Am Ende dieses Zwischenberichts und vor Beginn des vierten Jahres meiner Amtszeit bin ich einigermaßen ratlos. Und darum habe ich für mein „Fazit des Tages“, das ich immer an den Schluss meiner „Politik-inside“-Texte setze, einfach mal die „KI“ befragt, die Künstliche Intelligenz. Dreimal. Mit den Antworten lasse ich Euch jetzt mal allein:
Fazit des Tages:
- „Resignation ist nicht, die Dinge einfach hinzunehmen. Es bedeutet, die Kraft zu finden, loszulassen, wenn man weiß, dass man nichts ändern kann.“
- „Resignation ist nicht, das Ziel aufzugeben, sondern den Weg dorthin zu ändern.“
- „Resignation ist die Kapitulation der Seele, bevor der Körper aufgibt“
Nicole Schneidmüller-Gaiser
Liebe Nicole, ich leide mit dir, da von Freude leider nicht viel übrig bleibt. Ich bewundere deinen Mut, und deine Leidenschaft!
„(Herr) , gib mir die Kraft , Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, und die Weisheit, zu unterscheiden…“… Ach ja, der Franz…. Danke!
Danke für die aufmunternden Worte, liebe Sabine. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch erinnern, das wir geführt haben, als das alles anfing. „Verlier Dich nicht“, hast Du mir gewünscht. Daran muss ich oft denken…